Mai/2021

Die Kolpingsfamilie als Netz, das trägt

Vor knapp eineinhalb Jahren überlegte man im katholischen Gemeindeverband Hürth, sich einem Verband anzuschließen. Gelandet ist man bei Kolping. Die Geschichte ist der zweite Teil der Serie „Neuaufbrüche“.

Kolping als Verband, der auffängt: Das symbolisiert das Netz im Altarraum.

Insgesamt acht Personen stehen mit Abstand an diesem Dienstagabend im März um das Fischernetz, das im Altarraum der Pfarrkirche St. Martinus in Hürth-Fischenich im Süden von Köln ausgebreitet ist. 16 Hände, die das Netz greifen und spannen, Hände, die im Namen Kolpings anpacken wollen. Es ist seit langem die erste Vorstandssitzung der Kolpingsfamilie Hürth, die in Präsenz stattfinden kann. Die Freude darüber ist groß. Wigbert Spinrath, Pastoralreferent und geistlicher Leiter der Kolpingsfamilie, beginnt den Abend mit einer Andacht. Das Fischernetz im Altarraum ist an diesem Abend für vieles ein Symbol: "Jesus war Menschenfischer. Er hat gesagt, 'Ich brauche euch' und sie sind seinem Ruf gefolgt. Wie können auch wir bei Kolping Menschenfischer sein?" Für die Mitglieder der Kolpingsfamilie Hürth eine ganz besondere Frage. Ihrem Start legte die Corona-Pandemie Steine in den Weg. Dabei schien zu Beginn alles recht klar gewesen zu sein.

Auf dem Weg in die Verbandsarbeit

2019 überlegten die Hauptamtlichen des katholischen Gemeindeverbundes in Hürth, in die Verbandsarbeit zu gehen. „Wir wollten Strukturen schaffen, die auch noch in der Zukunft Bestand haben. Dabei war eine erste Ansatzidee im Bereich der Jugend: Da haben wir ein vielfältiges Engagement", erzählt Pastoralreferent Alexander Daun, der auch an diesem Abend in der St.-Martinus-Kirche anwesend ist. Er ist der geistliche Begleiter der Kolpingjugend. „Auf der anderen Seite haben wir im Gemeindeverbund auch viel Familienarbeit", ergänzt Spinrath. Schnell wurde den Hauptamtlichen in dieser anfänglichen Suche klar: Die Gründung einer eigenen Kolpingsfamilie scheint eine gute Idee zu sein. „Wir merkten, Kolping als Verband ist genau richtig, weil es ein Verband ist, der in seiner Struktur sowohl an Erwachsene als auch an die Jugend angelehnt ist", erzählt Daun.

Kolping als Verband, der generationenübergreifend tätig ist: Dass das zu ihnen passt, wird auch während der Andacht bei der Vorstandssitzung deutlich. Es werden Teelichter an die Vorstandsmitglieder verteilt. Der Jüngste von ihnen ist 20, die Älteste 60. Jedes Teelicht, das in den folgenden Minuten auf dem Fischernetz leuchtend abgestellt wird, ist mit einer Antwort verbunden. Einer Antwort auf die Frage, inwieweit Kolping ein Netz ist, das trägt. „Ich bin schon so oft von diesem Netz aufgefangen worden", erzählt die zweite Vorsitzende, Dagmar Berger. Ein weiteres Vorstandsmitglied ergänzt: „Ich hoffe, wir können da vieles an Familien und Kinder weitergeben."

Jedes Teelicht an diesem Abend gibt eine Antwort auf die Frage, warum Kolping ein Netz ist.

Engagement schon vor Kolping da

„Ihr seid Herzensmenschen, ihr seid Menschenfischer" – Aussagen wie diese zeigen, welch Optimismus im Vorstand herrscht. Vielleicht liegt es bei den Hürthern daran, dass die ehrenamtliche Arbeit nicht erst mit der Gründung der Kolpingsfamilie erfolgte. Viele der Engagierten setzten sich bereits davor im Gemeindeverbund ein, häufig bei Einzelaktionen. Andere waren zuvor nur als Teilnehmende bei Aktionen dabei und entschieden sich aus anderen Gründen für ihr Engagement in der Kolpingsfamilie. So ist es auch bei der aktuellen Vorsitzenden, Katrin Härtel. Sie stammt ursprünglich aus dem Diözesanverband (DV) Regensburg und hat sich dort früher viel in der Verbandsarbeit engagiert – allerdings nicht bei Kolping, sondern bei den Pfadfindern. Die Erfahrung von damals ist jetzt ein Zugewinn für die Kolpingsfamilie: „Ich habe Gremienerfahrung, ich weiß, wie man eine Tagesordnung schreibt – solche Dinge helfen schon", erzählt Härtel.

Verknüpfung mit Gemeindearbeit

In Hürth will man die Verbandsarbeit bei Kolping eng mit der Gemeindearbeit verknüpfen. Dabei soll Kolping von Anfang an auf Stadtebene aktiv sein und nicht nur in einzelnen Teilgemeinden des Gemeindeverbundes. Jetzt, wo es neben der Pfarrgemeinde auch die Kolpingsfamilie gibt, ist es den Hauptamtlichen wichtig, das nicht zu trennen. „Ich sehe darin eine Chance, beides zu vereinbaren. Kolping als Verband gibt dabei nochmal ganz neue Impulse und kann überregionale Strukturen und Verbindungen nutzen", meint Daun.

Gründungsversammlung als Start

Das war auch schon bei der Gründung vor rund eineinhalb Jahren klar. Der Startschuss fiel im September 2019 bei einer Gründungsversammlung im Pfarrsaal in Hürth-Efferen. Zu ihr war, wie es auch der Satzung des Kolpingwerkes Deutschland zu entnehmen ist, eine Vertretung des zugehörigen DVs anwesend. Bei der Kolpingsfamilie Hürth war dies die Diözesanvorsitzende des Bistums Köln, Sabine Terlau und die Diözesanleiterin der Kolpingjugend, Wiebke Harwardt. Pfarrer Heribert Müller betonte damals in der Eröffnungsrede, dass mit Kolping in Hürth ein Ort für Interessierte aller Altersgruppen in der katholischen Kirche geschaffen werden soll und in Zukunft stadtweite Aktionen anstehen werden.

„Ich bewundere ja die Leute, die noch immer dabei sind.“
Wigbert Spinrath, geistlicher Leiter

Corona bremst den Anfang

Knapp eineinhalb Jahre später sieht die Realität anders aus. „Wir hatten zu Beginn des letzten Jahres noch überlegt, auf alle Pfarrfeste zu gehen. Wir hatten genau überlegt, wer wohin in welcher Gemeinde geht, Termine waren eingetragen, Stände vorbereitet und dann kam der Lockdown", berichtet Spinrath. Die frisch gegründete Kolpingsfamilie versuchte trotzdem, den Kontakt untereinander zu halten und organisierte Telefon- und Zoomkonferezen. Für den Mai plante sie dann auch die erste größere Aktion: Hausaufgabenhilfe für Kinder und Jugendliche im Homeschooling, welche gemeinsam mit freiwilligen Studierenden geplant war. Alles war bereits vorbereitet. Das Jugendamt war informiert, die Örtlichkeiten waren organisiert – und dann auf einmal die Meldung: Die Schulen öffnen wieder und die Hausaufgabenhilfte wurde überflüssig. "So ist es uns seitdem immer wieder mit verschiedenen Aktionen gegangen", erzählt Spinrath, „letztens erst hatten wir eine Aktion namens ,Ansprechbar‘ geplant. Da hätten wir jede Woche einen Tag vor der Kirche gestanden und als Ansprechpartner für die Leute gedient. Aber das Ordnungsamt hat letztlich einen Strich durch die Rechnung gemacht." Spinrath wirkt in seinen Erzählungen nur wenig resigniert. Kein Wunder, in der Kolpingsfamilie herrscht nach wie vor der Tatendrang, Aktionen auf die Beine zu stellen. „Ich bewundere ja die Leute, die noch immer dabei sind", erzählt er, „im Moment habe ich das Gefühl, dass es ein bisschen wie bei den Zeitfahrern bei der Tour de France ist. Die sitzen da und halten sich warm bis sie dran sind. Die Leute halten sich hier auch die ganze Zeit warm, bis endich der Lockdown vorbei ist."

Gute Stimmung trotz Stagnation

Die Corona-Pandemie führte nach der Gründung der Kolpingsfamilie Hürth zur Stagnation. Das ist vor allem bei der Mitgliederzahl bemerkbar, die sich seit geraumer Zeit bei rund 70 Mitgliedern eingependelt hat. Acht von ihnen stehen an diesem Abend im März um das Fischernetz und wirken motiviert. Der Vorstand hat sich seit langer Zeit nicht mehr persönlich gesehen und die Stimmung ist gut. Die Runde kennt sich und ist seit der Gründung der Kolpingsfamilie fast gleich geblieben. Nur die Besetzung der ersten Vorsitzenden hat sich geändert. Katrin Härtel war bis zum Herbst Stellvertreterin der Kolpingsfamilie. Dass die erste Vorsitzende aus dem Gründungsvorstand, Karin Bendermacher, nur für das Gründungsjahr in diesem aktiv war, war von Vornherein klar.

Seit Herbst 2020 ist Härtel nun Vorsitzende und mit Tatkraft bei der Sache. „So ein Verband hat nochmal ganz andere Stärken und gerade den Austausch, sowohl auf Jugend- aber zukünftig sicher auch auf Erwachsenenebene, sehe ich als total wertvoll", erzählt sie.

Der Vorstand der neu gegründeten Kolpingsfamilie in Hürth bei seiner Vorstandssitzung – der ersten seit langem in Präsenz.

Identifikation mit Kolping

Kolping als Verband ist für die Hürther neu. „Hier ist Kolping ein völlig unbeschriebenes Blatt", erzählt Spinrath. Zwar gäbe es in der Kolpingsfamilie einige Personen, die bereits vor der Gründung Einzelmitglieder waren oder im Umfeld eine Verbindung zu Kolping hatten, das sei aber die Minderheit.

Ein "Kolpingbewusstsein", wie der geistliche Begleiter der Kolpingsfamilie es nennt, ist im Kleinen dennoch bereits vorhanden. Mit
der verbandlichen Struktur, die über der Kolpingsfamilie hinaus auf diözesaner oder regionaler Ebene besteht, hat das laut Spinrath aber noch wenig zu tun. „Im Moment ist das eher erst mal so, dass wir uns als Kolpingsfamilie selbst finden und uns mit den Sachen, die innerhalb an Aktionen laufen, identifizieren."

„Wir wollten ein Stück selbstständiger werden und Strukturen, in denen wir auch für uns etwas auf die Beine stellen können.“
Jonas Pütz, im Vorstand der Kolpingjugend Hürth

Jugend zeigt Interesse

Interesse am Vernetzen und an der Diözesanebene ist trotzdem auf jeden Fall schon vorhanden. Gerade bei der Jugend ist das zu merken. Pastoralreferent Daun erzählt von der Diözeankonferenz der Kolpingjugend im Bistum Köln: „Da ging es thematisch auf einmal um Nachhaltigkeit bei Ferienfreizeiten und plötzlich fangen die Jugendleitungen an, zu überlegen, was man da machen könnte und selbst umsetzen könnte. Das ist einfach eine andere Basis, da sind nicht mehr nur die Hauptamtlichen vor Ort, die das gut finden, sondern auch Gleichgesinnte im gleichen Alter." Er glaube, dass die Kolpingjugend gute Angebote habe, man aber auch merke, dass andere Stellschrauben auch nochmal Input geben können. Das sei die Chance eines Verbandes, da zu unterstützen und zu pushen. Daun hat die Jugend dabei von Anfang an unterstützt.

Der Vorstand der neu gegründeten Kolpingjugend besteht aus fünf jungen Engagierten zwischen 17 und Mitte 20. Alle von ihnen waren als ehemalige Teilnehmende oder Leiter der Ferienfreizeiten der Katholischen Jugend Hürth dabei. Einer von ihnen ist auch bei der Vorstandssitzung in der St.-Martinus-Kirche anwesend.

Jonas Pütz ist 20 Jahre alt und an diesem Abend der Jüngste in der Runde des Vorstands. Auch er war bei den Ferienfreizeiten der Katholischen Jugend Hürth in der Leitung dabei. Doch das reichte ihm und den anderen nicht: „Wir wollten ein Stück weit selbständiger werden und Strukturen, in denen wir auch für uns etwas auf die Beine stellen können." Als Daun und Spinrath mit der Verbandsidee Kolping um die Ecke kamen, zögerten die Jugendlichen nicht lange. Dass auch ihnen die Corona-Pandemie die Arbeit aktuell erschwert erschwert, hindert sie nicht daran, Aktionen zu planen. Im vergangenen Jahr bauten die Jugendlichen einen Grillplatz auf dem Pfarrgelände und für dieses Jahr ist auch wieder eine Ferienfreizeit geplant.

Aber nicht nur auf örtlicher Ebene zeigt sich die Kolpingjugend. Auch auf der Diözesankonferenz waren drei von ihnen bereits als Teilnehmende dabei. Für die jungen Engagierten eine spannende Erfahrung: „Wir kannten bis jetzt da eigentlich keinen, aber es waren alles super nette Leute und es war total interessant zu sehen, was andere so veranstalten", erzählt Pütz.

Optimistisch in die Zukunft

Dass Interesse an gemeinsamen Veranstaltungen da ist, wird auch bei der Vorstandssitzung in der St.-Martinus-Kirche deutlich. Ein Start unter erschwerten Bedingungen lässt die Kolpingsfamilie nicht aufgeben. Neue Ideen, Engagement und Lust auf ein Netzwerk ist bei allen im Vorstand vorhanden. Und so treffen die Worte, die beim letzten platzierten Teelicht von einem Vorstandsmitglied ausgesprochen werden, die klare Haltung der Kolpingsfamilie: "Ganz egal, wie der Start war – wir bleiben dran."


Fotos: Barbara Bechtloff