Juli/2021

"Was im Straßenbau der Rüttler" – Josef Anton Stüttler

Es muss schon Gründe geben, wenn es jemand schon zu Lebzeiten in einem Verband zu einem auf sich gemünzten Reim bringt: „Was im Straßenbau der Rüttler, ist im Kolpingwerk der Stüttler“. Diese Zeile ist heute noch in Kolpingkreisen legendär.

Es ist nicht übertrieben, sagt man über Josef Anton Stüttler, wenige hätten in den 1970er Jahren das Kolpingwerk Deutschland inhaltlich so geprägt wie er.

1831 im beschaulichen Tschagguns in Vorarlberg geboren, widmet sich Stüttler nach seiner Matura in seiner Studienzeit den Fächern Philosophie, Soziologie und Geschichte. Nach seiner Promotion 1958, die das Gottesproblem im Spätwerk Schellings zum Thema hat, belegt er während seiner Assistentenzeit an der Uni Innsbruck zusätzlich Staatsrecht und Volkswirtschaftslehre und schließt auch diese Studiengänge ab. Nach Deutschland kommt Josef Stüttler nach einem Praktikum in der Justizverwaltung 1966, wo er als Studienleiter am Sozialinstitut Kommende des Erzbistums Paderborn arbeitet. 1970 holt ihn das Kolpingwerk an Bord. Stüttler ist bis 1972 Referent für Gesellschaftspolitik beim deutschen Zentralverband, arbeitet aber auch beratend für das Internationale Kolpingwerk.

Das „Paderborner Programm“ von 1976 trägt ganz wesentlich die Handschrift Josef Stüttlers. Es wird neben den „Duderstädter Beschlüssen“ von 1992 die Kolpingarbeit in Deutschland bis zur Erstellung des Leitbildes 2000 prägen. Auch nach seinem Ruf als Professor an die Katholische Hochschule Köln, an der er Sozialphilosophie und Sozialpolitik lehrt, bleibt Stüttler dem Kolpingwerk bis zu seiner Emeritierung 1996 als Berater verbunden. Über viele Jahre hinweg vertritt er den Verband im Bundesvorstand der Katholischen Jugendsozialarbeit und ist als wissenschaftlicher Begleiter an mehreren Modellprojekten der arbeitsweltbezogenen Jugendsozialarbeit beteiligt.

In seiner umfangreichen Arbeit in Lehre und Forschung ragen die 1969/70 erschienenen Beiträge in der Pattloch-Enzyklopädie „Der Christ in der Welt“ heraus. Im Vorwort hierzu schreibt er: "Das umdenken vieler Andenken zur Erinnerung, das Eindenken der Zukunft in die Gegenwart, das Ausdenken neuer Deutungen und Wertungen fordern Vollzüge, die den modernen Menschen erst für die Zukunft zeitigen. Und wer von uns will in die Zukunft zurückfallen? Der Christ kann es nicht!“ Stüttler geht der Frage nach, welche Konsequenzen das Zweite Vatikanische Konzil auf das Leben der Christen und die Kirche als Institution haben. Aus heutiger Sicht und mit Blick auf den Synodalen Weg sind die Ansaätze Stüttlers visionär. Im Bewusstsein, die christlich-theologische Begründung schaffe alleine, etwa unter Nicht-Christen noch keine globale Akzeptanz, legt er später eine kulturübergreifende und anthropologische Begründung der Menschenrechte vor. Ein früher Vorläufer der Idee Hans Küngs vom Weltethos, wenn man so will.

Auch in der verbandlichen Literatur hinterlässt Josef Stüttler seine Spuren. Er gehört zu den ersten Mitherausgebern der Kolping-Schriften und publiziert zum Wirken des Gesellenvaters im Rahmen der christlichen Sozialbotschaft. Stüttler mute sich und anderen viel zu, wird sein Schüler, der Sozialpädagoge Josef Hülkenberg, später über ihn sagen. Er sucht den Widerspruch. Vom Auditorium erwartet Stüttler eigene Argumentation, nicht Beifall für den Vortragenden. Selbst innerhalb des Verbandes ist der Gelehrte aus Vorarlberg für viele eine echte Herausforderung.

In der Rückschau mag man Josef Anton Stüttler in Anlehnung an seinen Schüler Hülkenberg einen „zu Unrecht vergessenen und
unterschlagenen Propheten christlicher Gesellschaftslehre“ nennen. Nach seiner Emeritierung in Köln zieht es ihn zurück in die Heimat. Stüttler stirbt nach langer schwerer Krankheit im Februar 2009 in Tschagguns.