Oktober/2022

#YesEUcan – Auf dem Weg zu einem EU-Lieferkettengesetz

Zivilgesellschaftliche Gruppierungen in ihren Mitgliedsstaaten nehmen die EU beim Wort und fordern ein EU-Lieferkettengesetz, das Unternehmen zur Achtung von Menschenrechten und Umweltstandards in ihren Wertschöpfungsketten wirksam verpflichtet. Mittlerweile liegt ein Entwurf vor. Er darf aber nicht zum Papiertiger werden.

Dringliche Handlungsbedarfe

Der Handlungsbedarf für Veränderung ist groß. In Indien und Madagaskar etwa schürfen mehr als 32.000 Kinder das Mineral Mica. Durch die gefährliche Arbeit in den selbst gegrabenen Löchern sind Erkrankungen der Atemwege und Schnittwunden keine Seltenheit. Eingesetzt wird das schimmernde und gut isolierende Schichtsilikat z.B. in Autos, Handys, Computern, Kosmetik, Farben und Lacken. Deren Konzernzentralen sitzen zum großen Teil in Europa und könnten mit gemeinsamer Marktmacht und Zusammenarbeit mit Akteuren vor Ort auf die Beendigung ausbeuterischer Kinderarbeit hinwirken. Ein starkes EU-Lieferkettengesetz würde dafür die Handlungsbasis schaffen.

Durch den Ukrainekrieg wurde einmal mehr deutlich, wie wichtig Verantwortungsübernahme im Wirtschaften ist. So führte die Kriegssituation zu einem wahren „Run“ auf Rohstoffe wie Steinkohle, Erdöl und Metalle aus anderen Regionen, in denen ihr Abbau Menschenrechte und Umwelt teils massiv gefährdet. Damit die Betroffenen dort nicht die Leidtragenden der Sanktionen gegen Russland werden, bräuchte es verantwortungsvolle unternehmerische Praxis.

Mit dem deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz hat die Bundesregierung gezeigt, dass ein gesetzlicher Rahmen für Menschenrechte im Wirtschaftsleben nötig und möglich ist.

Mit zahlreichen Veranstaltungen, Wahlkreisgesprächen und Medienarbeit haben sich Nichtregierungsorganisationen, Kirchen und Gewerkschaften in der Initiative Lieferkettengesetz dafür eingesetzt, dass Unternehmen in Deutschland zur Achtung von Menschenrechten und Umweltstandards verpflichtet werden. Das Kolpingwerk Deutschland und KOLPING INTERNATIONAL unterstützen die Initiative. In den sozialen Medien, in Vorträgen, mit der Unterstützung der Unterschriftaktion und in politischen Gesprächen wurde im Verband über die Anliegen der Initiative informiert.

Das breite Engagement hatte Erfolg: Am 11. Juni2021 hat der Bundestag das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz verabschiedet.

Auf Details kommt es an

Dies war ein wichtiger Schritt – jedoch lässt das Gesetz erhebliche Lücken. Ein Lieferkettengesetz auf Ebene der Europäischen Union kann diese schließen und Wettbewerbsgleichheit für alle 27 Mitgliedsstaaten schaffen. Die Initiative setzt sich daher nun für ein umso stärkeres europäisches Lieferkettengesetz ein. Mit dem Slogan „Yes EU can!“ fordert sie eine wirksame EU-Regulierung, die menschenwürdiges Wirtschaften und die Achtung von Umweltstandards stärken soll.

Der Prozess zu einer solchen europäischen Richtlinie ist bereits weit gediehen. Bereits im April 2020 kündigte EU-Justizkommissar Reynders ihre Erarbeitung an. Die große Mehrheit der Abgeordneten des europäischen Parlaments stellte sich hinter das Ansinnen. Nach einer Reihe von Verzögerungen präsentierte die Europäische Kommission am 23. Februar 2022 den lang erwarteten Entwurf für eine „Richtlinie für Nachhaltigkeitspflichten von Unternehmen“. Auf den ersten Blick enthält das Dokument vielversprechende Elemente. So sind als Sanktionen bei Missachtung der unternehmerischen Pflichten sowohl behördliche Bußgelder vorgesehen als auch eine zivilrechtliche Haftung, die bislang im deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz fehlt.

Der im Februar vorgelegte Entwurf der Europäischen Kommission geht in wichtigen Punkten über das deutsche Lieferkettengesetz hinaus: Er umfasst eine größere Anzahl von Unternehmen. Menschenrechte und Umweltstandards müssen sowohl in vorgelagerten (z.B. Rohstoffabbau und Produktion) als auch in nachgelagerten Bereichen der Wertschöpfungskette (z.B. Risiken in der Entsorgung) beachtet werden. Eine zivilgesellschaftliche Haftungsregelung soll Klagemöglichkeiten für Betroffene schaffen. Doch die Sichtung der Details lässt auch Schwächen erkennen. So werden z.B. die Pflichten der Unternehmen auf „etablierte“, also langfristige Geschäftsbeziehungen beschränkt, wodurch etwa Herausforderungen im Zusammenhang mit informeller Arbeit aus dem Blick geraten.

Nun liegt der Ball beim Europäischen Parlament und dem Europäischen Rat, die sich zum Entwurf positionieren, bevor dieser in überarbeiteter Fassung in den Aushandlungsprozess zwischen Rat, Parlament und Kommission geht. Die Initiative Lieferkettengesetz fordert die Bundesregierung mit einer Petition an Kanzler Olaf Scholz auf, sich im Rat für eine wirksame Regulierung einzusetzen. 

In der Überarbeitung des Entwurfs im Zusammenspiel von EU-Parlament, Rat und Kommission müssen nun starke Elemente auch gegen zu erwartende Widerstände erhalten bleiben. Details muss die EU so ausgestalten, dass sie tatsächliche Veränderung bewirken. Beispielsweise erzielen Unternehmen mit Auditverfahren und Zertifizierungen oft nicht die erforderten Verbesserungen in ihren Lieferketten. Umso wichtiger sind stattdessen Maßnahmen, die das eigene Geschäftsmodell und die Preisgestaltung berühren. So braucht es z.B. für die Bekämpfung von Armut und Kinderarbeit im Kakaosektor stabile Lieferbeziehungen und Preise, die existenzsichernde Einkommen für Kakaobauern ermöglichen. Die EU-Richtlinie sollte also Geschäftsmodelle fördern, die auf langfristige und partnerschaftliche Zusammenarbeit setzen und in denen Unternehmen ihre Geschäftspartner bei der Umsetzung unterstützen (z.B. durch Schulungen und Kostenbeteiligung). Sie sollte Vorgaben zur Änderung der eigenen Preis- und Einkaufspolitik enthalten. Eine Beschränkung der Pflicht auf „etablierte Geschäftsbeziehungen“, wie es der aktuelle Entwurf vorsieht, klammert informelle Arbeit und inoffizielle Unteraufträge aus. Diese sind aber oft mit besonderen Risiken verbunden.

Wichtig ist es auch, Vorkehrungen zu treffen, damit Betroffene den Klageweg tatsächlich gehen können. Dazu braucht es z.B. eine faire Verteilung der Beweislast, angemessene Verjährungsvorschriften und Prozesskostenhilfe.

Yes EU can!

Mit einer neuen Kampagne unter dem Slogan „Yes EU can!“ setzt sich die Initiative Lieferkettengesetz dafür ein, dass die geplante EU-Richtlinie kein Papiertiger wird, sondern den Schutz von Menschenrechten, Umwelt und Klima voranbringt. Wie bereits der Prozess zum deutschen Lieferkettengesetz gezeigt hat, braucht dieses Engagement einen langen Atem, fundierte Argumente und rasche Reaktionen auf Hürden und Widerstände.

Kolpinggruppierungen können die Kampagnenaktivität unterstützen: durch Verbreiten und Unterzeichnen der Petition, durch persönliche Briefe und Mails an Europaabgeordnete, durch Veranstaltungen im Themenfeld und Aktivitäten in sozialen Medien.

Informationen, Materialien und Petition finden sich auf https://www.kolping.net/mitmachen/lieferkette und www.lieferkettengesetz.de,

Anregungen für Kolpingsfamilien, Kirchengemeinden und christliche Gruppen auf https://www.suedwind-institut.de/recht-und-gerechtigkeit.html.

Bei Aktionen unterstützen gerne:

Sigrid Stapel
Referentin für entwicklungspolitische Bildungsarbeit & Kampagnen
Kolping International
Tel. 0221/7788028
sigridstapel(at)kolping.net

Eva Maria Reinwald
Fachpromotorin
SÜDWIND e.V.
Tel. 0228 76 36 98 21
reinwald(at)suedwind-institut.de