Dezember/2022

#YesEUcan – Auf dem Weg zu einem EU-Lieferkettengesetz

Menschenrechte schützen und zu einer global nachhaltigen Entwicklung beitragen. Zu diesen Zielen hat sich die Europäische Union verpflichtet. Zivilgesellschaftliche Bewegungen in ihren Mitgliedsstaaten nehmen die EU beim Wort und fordern ein EU-Lieferkettengesetz, das Unternehmen zur Achtung von Menschenrechten und Umweltstandards in ihren Wertschöpfungsketten wirksam verpflichtet. Der Prozess dazu hat bereits begonnen. Sein Ergebnis darf kein Papiertiger sein.

Dringliche Handlungsbedarfe

Der Handlungsbedarf für Veränderung ist groß. In Indien und Madagaskar etwa schürfen mehr als 32.000 Kinder das Mineral Mica. Durch die gefährliche Arbeit in den selbst gegrabenen Löchern sind Erkrankungen der Atemwege und Schnittwunden keine Seltenheit. Eingesetzt wird das schimmernde, verstärkende und gut isolierende Material z.B. in Autos, Handys, Computern, Kosmetik, Farben und Lacken. Deren Markenfirmen sitzen zum großen Teil in Europa und könnten mit gemeinsamer Marktmacht und Zusammenarbeit mit Akteuren vor Ort auf die Beendigung ausbeuterischer Kinderarbeit hinwirken. Ein starkes EU-Lieferkettengesetz würde dafür die Handlungsbasis schaffen.

Durch den Ukrainekrieg wurde einmal mehr deutlich, wie wichtig Verantwortungsübernahme im Wirtschaften ist. So führte die Kriegssituation zu einem wahren „Run“ auf Rohstoffe wie Steinkohle, Erdöl und Metalle aus anderen Regionen, in denen ihr Abbau Menschenrechte und Umwelt teils massiv gefährdet. Damit die Betroffenen dort nicht die Leidtragenden der Sanktionen gegen Russland werden, bräuchte es verantwortungsvolle unternehmerische Praxis.

Mit dem deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz hat die Bundesregierung gezeigt, dass ein gesetzlicher Rahmen für Menschenrechte im Wirtschaften nötig und möglich ist.

Mit zahlreichen Veranstaltungen, Wahlkreisgesprächen und Medienarbeit haben sich Nichtregierungsorganisationen, Kirchen und Gewerkschaften in der Initiative Lieferkettengesetz dafür eingesetzt, dass Unternehmen in Deutschland zur Achtung von Menschenrechten und Umweltstandards verpflichtet werden. Das Kolpingwerk Deutschland und Kolping International unterstützen die Initiative. In den sozialen Medien, in Vorträgen, mit der Unterstützung der Unterschriftaktion und in politischen Gesprächen wurde im Verband über die Anliegen der Initiative informiert.

Das breite Engagement hatte Erfolg: Am 11. Juni 2021 hat der Bundestag das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz verabschiedet.

Auf Details kommt es an

Dies war ein wichtiger Schritt – jedoch lässt das Gesetz erhebliche Lücken. Ein Lieferkettengesetz auf Ebene der Europäischen Union kann diese schließen und Wettbewerbsgleichheit für alle 27 Mitgliedsstaaten schaffen.

Die Initiative setzt sich daher nun für ein umso stärkeres europäisches Lieferkettengesetz ein. Mit dem Slogan „Yes EU can!“ fordert sie eine wirksame EU-Regulierung, die menschenwürdiges Wirtschaften und die Achtung von Umweltstandards stärken soll.

Die Europäische Union will Unternehmen zum Schutz von Menschenrechten und der Umwelt in ihren Wertschöpfungsketten verpflichten. Offen ist jedoch, wie wirksam das sogenannte EU-Lieferkettengesetz ausfällt. Der zuständige EU-Ministerrat hat sich am 1. Dezember in Brüssel auf eine Position geeinigt, die zwar über das deutsche Lieferkettengesetz hinausgeht, aber dennoch zahlreiche Schlupflöcher enthält. Mehrere EU-Regierungen, darunter Deutschland, versuchen weiterhin, das Vorhaben abzuschwächen. Dagegen protestierten am Nikolaustag in Berlin Aktivist*innen der „Initiative Lieferkettengesetz“ und überreichten eine an Bundeskanzler Olaf Scholz gerichtete Petition mit 90.248 Unterschriften. Der Generalsekretär von Kolping International Markus Demele war mit dabei.

Gefordert wird ein wirksames EU-Lieferkettengesetz, das

  • ausnahmslos die gesamte Liefer- und Wertschöpfungskette von Unternehmen erfasst;
  • Geschädigten die Möglichkeit bietet, erfolgreich vor Gerichten in Europa Schadensersatz gegenüber beteiligten Unternehmen einzuklagen;
  • Unternehmen verpflichtet, auch Umwelt und Klima zu schützen;
  • eine umfassende Beteiligung der Betroffenen bei der Umsetzung des Gesetzes sicherstellt.

Die Bundesregierung hat auf der Sitzung des zuständigen EU-Ministerrats „Wettbewerbsfähigkeit“ in Brüssel für den gemeinsamen Entwurf gestimmt. Dieser sieht unter anderem vor, dass europäische Unternehmen auch zivilrechtlich für Schäden haften sollen, die sie durch Missachtung menschenrechtlicher Sorgfaltspflichten in ihrer Lieferkette verursacht haben. Die volle Sorgfaltspflicht ist nicht auf das erste Glied der Lieferkette begrenzt. Neben Menschenrechten sollen Unternehmen auch Umweltstandards achten und Klimapläne erstellen. Damit würde das EU-Lieferkettengesetz deutlich über das deutsche Lieferkettengesetz hinausgehen, das am 1. Januar 2023 in Kraft tritt.

Die Bundesregierung hatte sich im Vorfeld dafür eingesetzt, dass Waffenexporte und Finanzinvestitionen von dem Gesetz ausgenommen werden und Unternehmen, die ihre Klimapläne nicht umsetzen, nicht sanktioniert werden. Diese Positionen finden sich nun auch im EU-Ratsbeschluss wieder. Nicht durchsetzen konnte sich die Bundesregierung hingegen mit dem Versuch, eine sogenannte „Safe-Harbour-Klausel“ in dem Beschlusstext unterzubringen – einer Art Freifahrtschein für Unternehmen, die bestimmte Zertifizierungen verwenden oder sich an Branchenstandards beteiligen. Diese sollten Unternehmen nach Vorstellung der Bundesregierung pauschal von einer möglichen Wiedergutmachung von Schäden befreien, die sie fahrlässig verursacht haben. Dies hatte zu starker Kritik seitens der Zivilgesellschaft geführt. Dennoch hält die Bundesregierung auf Druck der FDP an dieser Forderung fest.

Das EU-Parlament hat angekündigt, sich im kommenden Frühjahr zu dem EU-Lieferkettengesetz zu positionieren. Anschließend beginnen die als „Trilog“ bezeichneten Verhandlungen zwischen dem EU-Parlament, der EU-Kommission sowie dem Rat.

Yes EU can!

Mit der Kampagne unter dem Slogan „Yes EU can!“ setzt sich die Initiative Lieferkettengesetz dafür ein, dass die geplante EU-Richtlinie kein Papiertiger wird, sondern den Schutz von Menschenrechten, Umwelt und Klima voranbringt. Wie bereits der Prozess zum deutschen Lieferkettengesetz gezeigt hat, braucht dieses Engagement einen langen Atem, fundierte Argumente und rasche Reaktionen auf Hürden und Widerstände.

Kolpinggruppierungen können die Kampagnenaktivität unterstützen: durch Informationen über das Lieferkettengesetz, durch persönliche Briefe und Mails an Europaabgeordnete, durch Veranstaltungen im Themenfeld und Aktivitäten in sozialen Medien.