November/2021

Mittendrin zuhause

Anderthalb Jahre lang dauerten die Bauarbeiten am Kolpinghaus im Kölner Stadtteil Ehrenfeld. Pünktlich zu seinem 70-jährigen Bestehen ist es nun als kernsaniertes „Kolping Jugendwohnen“ wiedereröffnet worden – und als ein Vorzeigeprojekt in Sachen Nachhaltigkeit. Dies ist der vierte Teil der Serie „Neuaufbrüche“.

Das kernsanierte Kolpinghaus in Köln-Ehrenfeld erstrahlt nun in hellen und frischen Farben.

Das Kolpinghaus in Köln-Ehrenfeld ist schon seit Jahrzehnten ein markanter Punkt im Stadtbild – und ein solcher wird es bleiben. Anlässlich seines 70-jährigen Bestehens ist das traditionsreiche Gebäude Anfang Oktober als kernsaniertes „Kolping Jugendwohnen“ wiedereröffnet worden. Die Feier begann mit einem Gottesdienst in der nahe gelegenen Kirche St. Mechtern. Danach segneten Diakon Horst Eßer, Präses der Kolpingsfamilie Köln-Ehrenfeld, und die Geistliche Leiterin des Kolpingwerkes Deutschland Rosalia Walter die neuen Räume. In seinem Grußwort betonte Bundessekretär Ulrich Vollmer, dass im Kolping Jugendwohnen noch heute der Kern dessen zum Vorschein komme, was Adolph Kolping auf den Weg gebracht habe: Denn in seinen Gesellenvereinen und Gesellenhäusern wollte er jungen Menschen in schwierigen Verhältnissen eine Hilfestellung geben. Hier sollten sie Gemeinschaft und Geborgenheit, Bildung sowie ein geselliges Miteinander erleben. Diese Aufgaben erfüllt das Kolping Jugendwohnen auch heute noch.

Das Konzept des Jugendwohnens sieht vor, jungen Menschen im Alter zwischen 16 und 27 Jahren – überwiegend Auszubildende – günstigen Wohnraum anzubieten. Als das Kolping Jugendwohnen Köln-Ehrenfeld 2013 das Kolpinghaus von vorherigen Betreiber übernahm, gab es Platz für 50 Bewohnerinnen und Bewohner. Nun verfügt es über 23 Plätze mehr – alle in Einzel- und Doppelzimmern mit jeweils eigenem Bad. Zudem befindet sich nach der Sanierung auf jeder Etage eine großzügige Gemeinschaftsküche. Anders als Studierendenwohnheime verbindet das Haus Wohnen, Leben und Betreuung. Das Besondere: Ein pädagogisches Team begleitet und hilft jungen Menschen im neuen Wohnumfeld, bei der Ausbildung oder der Berufsschule sowie dabei Alltagsprobleme zu bewältigen. 

„Das verhindert vorzeitige Ausbildungsabbrüche und fördert einen erfolgreichen Ausbildungsverlauf“, sagt Alexandra Horster, die Geschäftsführerin des Kolping-Jugendwohnens. Gelebt wird dieses Konzept bundesweit in rund 40 Kolping-Jugendwohnheimen, die sich im Verband der Kolpinghäuser zusammengeschlossen haben. Das Kolpinghaus in Ehrenfeld sticht aus diesen noch einmal heraus, weil es konsequent auf Nachhaltigkeit ausgelegt ist. „Sichtbar ist die nachhaltige Ausrichtung nahezu überall im und am Gebäude. Das fängt schon damit an, dass keine fossilen Energieträger wie Gas, Kohle oder Erdöl mehr genutzt werden, um Wärme für die Heizung und die Warmwasserversorgung zu erzeugen“, sagt Horster. „Eine Photovoltaikanlage auf dem Dach produziert Strom, der zu 75 Prozent direkt im Haus verwertet wird.“ Die restlichen 25 Prozent speist das Kolpinghaus ins Netz ein, wofür es dann eine entsprechede Vergütung erhält. Ab Herbst oder in einem kalten Sommer springt dann eine Holzpelletanlage an, die zwei Mal pro Jahr gefüllt werden muss. In den kommenden Jahrzehnten dürfte das Kolpinghaus so nicht nur ein markanter Punkt im Ehrenfelder Stadtbild bleiben, sondern auch zu einem Vorbild für nachhaltiges Wohnen werden.

Chronologie – 70 Jahre Kolpinghaus Köln-Ehrenfeld

1908

  • Der 1886 gegründete Ehrenfelder Gesellenverein kauft am Fröbelplatz 11 ein erstes Haus, das als Gesellenhaus Köln-Ehrenfeld eröffnet wird.
  • 1943 wird das Haus durch Bomben zerstört. Auf der Fröbelstraße soll ein neues errichtet werden.

1949

Nachdem 1948 ein Grundstück gekauft werden konnte, bemüht sich der Verein um die Finanzierung des Hausbaus. Dazu wird auf dem Neumarkt eine Tombola veranstaltet. 1949 kann der Bau beginnen.

1951

7. Oktober: Das Haus wird eingeweiht, in das 70 Lehrlinge einziehen. Manche kommen aus der näheren Umgebung, viele andere haben aber ihre Heimat verloren und beginnen in Köln daher nicht nur eine neue Ausbildung – sondern ein neues Leben.

1967

Da das Haus immer voll belegt ist, wird das Haus um eine vierte Etage erweitert. Diese bietet Platz für 13 neue Zimmer und 18 Betten.

1971

Das Haus wird für ein neues Jahrzehnt saniert. Inzwischen ist es von außen verputzt und bekommt einen gelben Anstrich – bis 2020 ein markanter Punkt im Stadtbild. Den neu errichteten Festsaal mit Platz für rund 600 Personen nennen die Anwohner „Gürzenich von Ehrenfeld“.

1993-1995

  • Die Zimmer werden mit eigenen Duschbädern sowie Telefonanschlüssen ausgestattet. Zudem entsteht ein Büro für Zivildienstleistende.
  • Zum ersten Mal dürfen nun auch Frauen im Haus wohnen.

2014

Zunächst soll nur eine energetische Sanierung erfolgen. Nach vielen internen und externen Beratungen werden aber die Planungen für eine Gesamtsanierung in die Wege geleitet.

2021

  • 14. August: Die ersten Bewohnerinnen und Bewohner ziehen in die vierte Etage ein. Im restlichen Haus wird derweil noch weiter gebaut.
  • 3. Oktober: Vier Tage vor der 70-Jahrfeier wird das Ehrenfelder Kolpinghaus mit einer Feier wiedereröffnet.

Interview: „Das war eine sehr prägende Zeit für mich“

Franz Noske (85) war 1951 der erste Bewohner des Kolpinghauses in Köln-Ehrenfeld. Ein Gespräch über einen strengen Heimleiter und eine enge Gemeinschaft.

Sie haben zum Ende Ihrer Schulzeit in Norddeutschland gewohnt. Was hat Sie 1951 nach Köln verschlagen?
Franz Noske: 
Ich habe vorher in Hameln gewohnt. Ursprünglich kamen wir aber aus Oberschlesien und wurden dort nach dem Krieg vertrieben. In Hameln bin ich ein paar Jahre in die Schule gegangen, dann kamen zwei Theologie-Studenten aus Köln. Die beiden Herren – einer kam aus Ehrenfeld – gaben uns Religionsunterricht. Eines Tages fragten sie uns, ob wir eine Ausbildungsstelle hätten. Ich sagte, ich möchte Schlosser werden. Als die Schulstunde zu Ende war, meinte einer der beiden: „Komm mal her. Wenn du nach Köln kommen willst, kann ich dir eine Stelle besorgen.“

Franz Noske zog 1951 als erster Bewohner in das neue Kolpinghaus einzog.

Das hat er geschafft. Und zudem haben Sie einen Platz im Kolpinghaus Köln-Ehrenfeld bekommen – das am 1. Juni 1951 eröffnet wurde. Wie haben Sie den Tag erlebt?
Zur Einweihung gab es eine große Parade. Alle Berufe stellten sich auf verschiedenen Festwagen vor. Wir Schlosser hatten eine Feldschmiede bei uns auf dem Wagen, die Bäcker haben unterwegs Brötchen gebacken, die Metzger stellten Wurst her und warfen sie in die Menge. Das war ein Riesen-Spektakel in Ehrenfeld. Und danach bin ich eingezogen, als erster Bewohner des Jugendhauses Köln-Ehrenfeld.

Wie sah das Haus damals aus?
Das war ein großes Haus mit vier Etagen, ganz oben wohnten wir Lehrlinge. Ich schlief in einem Fünf-Bett-Zimmer. Im Haus gab es einen Heimleiter, Herrn Schmidt, der uns mit strenger Hand betreut hat. Wir mussten im Winter um 21 Uhr und im Sommer um 22 Uhr zu Hause sein. Wenn einer später kam, dann gab es Strafen. Ausgangssperre zum Beispiel. Mich hat es auch einmal getroffen. Ich war mit einem Kollegen auf dem Schützenfest in Ehrenfeld. Wir haben ein, zwei Kölsch getrunken und kamen ein paar Stunden zu spät nach Hause. Das gab ein Donnerwetter und 14 Tage keinen Ausgang außerhalb der Arbeit.

Wie lief ein normaler Tag ab?
Wenn man nach der Arbeit nach Hause kam, gab es um 18.30 Uhr Abendbrot im Speisesaal. Im ersten Jahr waren da sogar noch Augustinerschwestern, die uns betreut haben. Nach dem Abendbrot ging es in die Kapelle zum Abendgebet. Das war ein sehr durchstrukturierter Alltag. Nach dem Abendgebet hatten wir dann Freizeit. Die Miete zahlten wir mit unserem Ausbildungslohn: Immer am Monatsanfang mussten wir unsere versiegelte Lohntüte abgeben. Damit man sich aber zwischendurch kleinere Dinge kaufen konnte, Zahncreme oder Seife zum Beispiel, gab es freitags Taschengeld. Acht Mark im Monat. Das war verdammt wenig. Wir mussten uns vor dem Zimmer von Herrn Schmidt in der dritten Etage in die Schlange stellen. Wenn ich dann dran war, fragte er: „Wie viel willst du haben?“ Ich antwortete: „Zwei Mark.“ „Ist zu viel! Eins fünfzig.“ Damals gab es auch Kurse, die uns zur Sparsamkeit erziehen sollten und am schwarzen Brett hing ein Aushang: „Wer spart am besten?“ Da wurde aufgelistet, wer am wenigsten von seinem Taschengeld verbraucht hatte.

Franz Noske: 70 Jahre später nahm er nun an der Feier der Wiedereröffnung teil.

Wurde das Angebot des Jugendwohnens zu Beginn gleich gut angenommen oder waren einige Plätze noch offen?
Weil es damals einen großen Andrang auf Wohnungsplätze für Auszubildende gab, war das Kolpinghaus im Nu voll. Wir waren damals 60 Lehrlinge und 60 Gesellen, die dort wohnten. Plus Heimleiter, dem Betreiber der Wirtschaft und seinen Angestellten, wohnten im Haus circa 130 Leute. Da war immer was los. Im Kolpinghaus durften damals übrigens nur Männer wohnen, eine sehr strenge Regel. Nicht mal die Mutter oder die Schwester konnten zu Besuch auf das Zimmer kommen. Ein Freund von mir wäre deshalb mal fast rausgeflogen, er wollte seiner Schwester zeigen, wie er lebte. Nach bestandener Gesellenprüfung zog man eine Etage tiefer und hatte dann sogar den Luxus des eigenen Waschbeckens auf dem Zimmer. Einer hat mal gesagt, die Zimmer sehen aus wie im Krankenhaus. Ich habe mich aber immer sehr wohlgefühlt.

Wie war es, mit vier anderen Menschen das Zimmer zu teilen?
Das war immer harmonisch. Aber als junger Bursche hat man natürlich auch Quatsch gemacht. Einmal kam ich nach Hause und da, wo mein Bett eigentlich stand, hing ein Schild an der Wand: „Zurzeit außer Betrieb“. Meine Zimmerkollegen hatten mein Bett auseinandergebaut. Im ganzen Haus musste ich mein Bett zusammensuchen. Auf den Toiletten waren Teile, eine Etage höher die Matratze. Stunden hat das gedauert, bis ich endlich schlafen konnte.

Was passierte neben dem Berufsalltag im Jugendwohnen noch Spannendes?
Einmal im Jahr haben wir einen kleinen Ausflug gemacht. Dafür haben wir auf der Arbeit sogar frei bekommen. Von Samstag bis Montag sind wir zum Beispiel nach Hückeswagen oder Altenberg gefahren, das sind Orte in der Nähe von Köln. Dort waren wir zelten, saßen am Lagerfeuer und haben zusammen gekocht. Das hat der Heimleiter für uns organisiert. Das war immer eine schöne Zeit, auch wenn er sehr streng war. Es gab auch Abendangebote in denen wir praktische Tipps für den Alltag gelernt haben. Oder Themenabende, zu denen Experten kamen und unsere Fragen beantwortet haben. Bei sowas musste auch jeder mal seinen Ausbildungsberuf vorstellen.

Auszug aus dem Mietbuch von Franz Noske: „Damenbesuch“ war zu Beginn des Jugendwohnens noch „strengstens untersagt“.

Das klingt ein bisschen so, als ob die Bewohner und später auch Bewohnerinnen des Kolpinghauses eine richtig enge Gemeinschaft gebildet haben. So ähnlich wie eine Kolpingsfamilie.
Ja, das kann man so sagen. Ich bin da auch wirklich ungern ausgezogen. Über die Zeit hat sich eine richtig tolle Gemeinschaft gebildet. Nach meiner Gesellenprüfung bin ich natürlich auch Kolpingmitglied geworden.

Wie hat Sie die Zeit, in der Sie dort gewohnt haben, geprägt?
Es war eine wunderschöne Zeit, die mich geformt hat. Auch heute noch habe ich Verbindungen in ganz Deutschland zu Menschen, die im Kolpinghaus gewohnt haben. Mit vier Freunden treffe ich mich jedes Jahr, wir haben es dieses Mal aber lieber ausfallen lassen. Immer wenn ich mit ihnen telefoniere, fragen sie mich auch, wie die aktuelle Situation ist. Ich wohne ja in der Nähe und kann ihnen dann Fotos schicken. Das Kolpinghaus ist uns auch heute noch wichtig.

Was würden Sie Bewohnerinnen und Bewohnern mit auf den Weg geben, die jetzt neu einziehen?
Da klingt vielleicht ein bisschen altbacken: Aber seid froh, dass ihr in so einem Haus wohnen könnt. Das ist finanziell günstig, und man ist dort gut aufgehoben. Und natürlich sollte man auch Kolping nicht außer Acht lassen: Wenn man sich ein wenig in die Kolping-Materie vertieft, weiß man, was Kolping geleistet hat. Ich bin schon 66 Jahre lang Mitglied und bereue keinen Tag. Das beste am Jugendwohnen war, dass ich mich dort gut aufgehoben gefühlt habe. Ich habe tolle Freundschaften geknüpft, die zum Teil immer noch halten. Das war eine sehr prägende Zeit für mich. Und das wünsche ich auch allen, die dort einziehen werden.

Die Fragen stellte Tobias Pappert.

Foto: Barbara Bechtloff, Marian Hamacher, Franz Noske